Die Presse
Boris Kuschnir muß zuerst genannt werden: Er hat drei Violinvirtuosen von Weltformat in Wien herangezogen. Sie alle musizierten am Donnerstag herrlich.
Der Wiener Musikverein war Schauplatz eines Ereignisses: Drei junge Geiger von Weltformat spielten beim Galakonzert des Konservatoriums der Stadt Wien und widmeten den Abend ihrem Lehrer, Boris Kuschnir.
Der darf sich glücklich schätzen, den bereits international engagierten Herren Julian Rachlin und Nikolaj Znaider demnächst eine Dame hinzuzugesellen: Die 17jährige Lidia Baich dringt gewiß in die erste Riege vor. Drei erste Sätze aus großen Violinkonzerten waren zu hören. Baich machte mit Mendelssohn den Anfang: Glutvoller Ton, temperamentvoller Zugriff – wie „Elfenmusik“ klingt ihr Mendeissohn nicht. Sie gönnt sich expressive Phrasen, als ginge es um Tschaikowsky.
Das tönt ungewohnt, und eben das scheint Lidia Baich zu beabsichtigen. Hie und da geht ihr der Ausdruck vor abgezirkelte Präzision. Sie malt die Musik in Öl, nicht mit Wasserfarben. Ähnliches gilt für ihre Kollegen, wobei Nikolaj Znaider mit dem Carl-Nielsen-Konzert bewies, daß sich Lust am geigerischen Breitwand-Sound mit lupenreiner Linienführung paaren läßt: Da bleibt kein Wunsch offen.
Julian Rachlin, längst eine fixe Größe, komplettierte mit Brahms. Er inszeniert sich selbst und die Musik mit mitreißendem Impetus. Die Kadenz wird zum Miniaturdrama, bei der man den Atem anhält, bis sich aus der beängstigend zugespitzten Atmosphäre das Hauptthema wieder herausschält. Rachlin geht aufs Ganze, musiziert mit einer Ausdruckswut, die allen Meisterschülern Kuschnirs eigen scheint. Die drei müßten sofort für neue Aufgaben im Goldenen Saal engagiert werden. Auch der Dirigent des Abends, Georg Mark, der das Studentenorchesters des Konservatoriums exzellent leitete —
als Begleiter, und bei den symphonischen Stücken, Mendelsohns Hebriden-Ouvertüre und Blachers Paganini-Variationen: Ein Genuß allein das lustvolle Zusammenspiel von Konzertmeister und Stimmführerin der zweiten Geigen. Die Freude der jungen Musiker springt dem Hörer aus jedem Takt entgegen. Selbst heikle Seiltänze, wie Blacher sie jazzgelaunt vorschreibt, gelingen mitreißend. So läßt sich an die Zukunft Unserer Musiker-Ausbildung glauben!
Wilhelm Sinkovicz
Die Presse, 31. Jänner 1999