Music Manual
Kein Wunderkind
Wie so viele Musiker seiner Generation mußte auch der heute 23jährige Geiger Julian Rachlin gegen den medialen Druck ankämpfen; und wie’s scheint, hat er es auch geschafft …
Den Durchbruch schaffte er im Jahr 1988, als er beim Eurovisionswettbewerb mit Wieniawskis zweitem Violinkonzert den ersten Preis gewinnt. Von da an hatte ihn die internationale Musikpresse im Fadenkreuz, was den Druck auf einen Musiker naturgemäß nicht gerade erleichtert. Es war eine — wie er es nennt — halsbrecherische Gratwanderung zwischen gefeierrem Wunderkind und anerkanntem Solisten. Heute mit 23 Jahren, so scheint’s, ist diese Zeit überwunden. Music Manual traf den sensiblen Geiger zum Gespräch:
Wie nachteilig war der Begriff „Wunderkind“ für Sie persönlich?
Ich glaube, daß die schwierigste Zeit bereits vorbei ist. So mir sechzehn oder siebzehn hatte ich eigentlich die größten Probleme damit, da meine Karriere bereits mit dreizehn Jahren, also sehr früh, begonnen hat. Ich habe mich stets gegen diesen Begriff gewehrt, auch wurde ich in der Familie nie als Wunderkind behandelt — Gott sei Dank! Meine Kindheit war ganz normal und das ist wohl auch die Vorausserzung, daß man den Sprung zum ‚reiferen‘ Musiker überhaupt schaffen kann. Das gefährliche bei so genannten Wunderkindern ist, wenn man sich bewußt wird, was man da eigentlich macht. Man spielt vor tausenden Leuten, man wird jedes Mal, wenn man das Instrument in die Hand nimmt, beurteilt. Und wenn man das alles realisiert, dann kann das schon ernste Probleme bewirken. Man stellt sich dann die Frage, wie man die Leute, die man jetzt schon jahrelang überzeugt hat, noch mehr überzeugen soll. Der Erwartungsdruck ist eben enorm. Jetzt sind einige Jahre vergangen und mir 23 fühle ich mich nun pudelwohl auf der Bühne.
Den Umgang mit den Medien, die Verstrickungen mir Managements, all das mußte auch Rachlin erlernen. Daß es dazu eine adäquate Haut benötigt, ist dem jungen Mann schon längst klar.
Natürlich muß man die Medien ernst nehmen. Es geht nicht an, daß man in aller Ignoranz stets auf dem Standpunkt verweilt, zu meinen, ohnedies der Beste zu sein und sich alles erlauben zu können. Grundvoraussetzung für mich ist es, konsequent an mir weiterzuarbeiten, meine Ziele abzustecken und möglichst zu erreichen.
Was können Sie tun, um von der Industrie nicht wie eine Zitrone ausgepreßt zu werden. Diese Gefahr ist ja latent — speziell bei jungen Musikern?
Ich war und bin dieser Gefahr immer wieder ausgesetzt. Besonders in jungen Jahren läuft man Gefahr zu viel zu spielen, zu viele Angebote anzunehmen. Ich war in der wirklich glücklichen Position immer viele tolle Angebote gehabt zu haben. Wichtig war immer für mich abzustimmen. Zu wissen, wieviel Zeit ich zur Verfügung habe, oder wie viel Zeit ich bereit bin zu investieren. Wenn man nämlich in jungen Jahren zu viel macht, dann ist es durchaus möglich, daß man dann mit zwanzig sagt: so, das war’s und jetzt möchte ich auch irgendwann einmal leben. Bei mir hat es bis heute eigentlich eine gute Balance gegeben, darum habe ich auch immer noch großen Spaß an der Musik.
Wie wichtig ist bei einer solchen Balance der Lehrer? Welchen Stellenwert hat Boris Kuschnir in Ihrem Leben?
Einen ganz enormen Stellenwert. Es ist unerläßlich, den Menschen zu finden, der einen prägt und die ganze Basis für die Zukunft legt. Das Ganze setzt auch ein fast schon blindes Vertrauen voraus. Mit Boris Kuschnir habe ich jetzt ja schon eine über fünfzehn Jahre dauernde Beziehung. Von ihm habe ich alles gelernt und ihm verdanke ich auch sehr viel. Er hat die Rolle des Coaches.
Eine solche Bindung ist doch aber auch nicht ungefährlich. Wie sieht es mit der Eigenentwicklung eines Künstlers aus? Besteht nicht auch die Gefahr, daß ein Lehrer immer auch versucht, das durch seinen Schüler zu erreichen, was et selbst vielleicht nie erreicht hat?
Diese Gefahr gibt es! Das positive in meinem Fall ist, daß wir uns gegenseitig Freiräume geben. Professor Kuschnir wollte in mir nie seine eigene Persönlichkeit widergespiegelt sehen — was aber sehr oft passiert. Er ist stets von meiner Persönlichkeit und dem, was ich mitgebracht habe, ausgegangen. Er har genau gewußt, was mein Potential ist, und genau das hat er dann auch verlangt. Aber es sind natürlich auch oft die Ferzen geflogen. Schließlich ist das alles ja eine sehr emotionale Angelegenheit. Ich habe ihn immer meinen Doktor genannt. Wenn ich vor Aufnahmen stand und bei manchen Passagen einfach nicht gewußt habe, was ich denn nur machen soll, dann konnte ich ihn anrufen und der Doktor kam mit dem richtigen Rezept…
Kommt irgend wann einmal der Moment der definitiven Abnabelung?
Ich denke nicht. Es ist keine Schüler-Lehrer-Beziehung mehr. Wir sind heute Freunde. Früher har er mich immer begleitet und gemeinsam haben wir eine Menge erlebt. Jetzt bin ich meist alleine unterwegs. Wenn ich aber in Wien bin, dann suche ich den Kontakt zu ihm. Ich bin mir sicher, daß er Zeit meines Lebens die Person sein wird, der ich am meisten vertraue.
Obwohl nur stets ein paar Tage im Monat in Wien, ist der Kontakt zu den Eltern — beide auch Musiker –, Dank der Erfindung des Telefons, ungebrochen. Den Wunsch, aus ihrem Sohn einen Musiker zu machen, haben beide nie gehegt. Dazu waren die Turbulenzen der Emigration aus Litauen — damals zur Sowjetunion gehörig — wahrscheinlich zu groß. Was Klein-Julian da so dachte, war nicht wirklich das Thema. Aber die Musik hatte in ihm bereits Faszination erweckt, und schließlich wollte Julian Rachlin dann auch Musik machen. Das Resultat kennt man.
Als ich dann aber beschlossen habe, Geige zu lernen, da habe ich dann schon merken müssen, daß da eine ordentliche Portion Professionalität und Disziplin dazugehört. Den wirklichen Druck habe ich mir immer selbst auferlegt.
Wo sehen Sie Ihre Stärken beim Spiel?
Das ist schwer zu sagen. Ich weiß nicht, ob ich berufen bin, mich zu beurteilen. Ich glaube aber, daß meine Stärken die Farben im Spiel sind. Ich will eben immer etwas erzählen bzw. ausdrücken. Das kann ich mit meinem Instrument zehnmal besser als verbal!
Wie stehen Sie zu Wettbewerben?
Mit gemischten Gefühlen. Intuitiv würde ich sagen: Ich halte nichts von Wettbewerben! — Aber, ich habe alles einem Wettbewerb zu verdanken. Es ist eine Möglichkeit, sich zu präsentieren. Und zwar vor Leuten, die einem bei dem Einstieg in die Karriere helfen können. Manche Künstler glauben jedoch, es genügt, einen Wettbewerb zu gewinnen Und dann brauchen sie nichts mehr zu tun. Das ist eine Täuschung. Nach dem Gewinn eines Preises gehr es erst richtig los. Aber es ist natürlich die Gefahr latent , daß sich Wettbewerbe immer mehr zu Intrigen entwickeln und Preisvergaben das Resultat von Machtspielen innerhalb der Jury sind. Wenn dann einer kommt, der ‚zu gut‘ ist, dann wird die Jury zusehen, daß sie diesen Betreffenden los wird. Ohne das Glück des Tüchtigen geht gar nichts. Ich habe wirklich eiu Riesenglück gehabt, einen Wettbewerb mit einer großen medialen Tragweite zu gewinnen. Und über Nacht ging das dann alles irrsinnig schnell: Einladungen von Mehta, Maazel und und und.
Bescheidene Worte eines Unkomplizierten und nicht im Geringsten weltfremden Musikers. Obgleich für den Rest seines Lebens an die Violine „gekettet“, findet Julian Rachlin doch auch noch die Zeit irgendwo Mensch zu sein. Neben dem solistischen Repertoire kommt jedoch die Kammermusik nicht zu kurz. Für Rachlin ist es die Essenz der Musik an sich, und wann immer es geht, versucht er den Spaß des gemeinsamen Musizierens zu pflegen. Mit über hundert Abenden pro Jahr har er seine Grenze nach eigenen Aussagen erreicht. Gewiß läßt ihm diese Tatsache keinen großen Spielraum für ein gemütliches Leben. Der Drang, stetig besser zu werden und die Akzeptanz des Publikums wiegen dieses Manko jedoch im Moment auf. Er sieht seine Aufgabe darin, der jungen Generation den Spaß an der klassischen Musik zu vermitteln und zu beweisen, daß man Geigenvirtuose und dennoch ein ganz normaler Twen sein kann. Einzig und allein für eine feste Beziehung reicht die Zeit beim besten Willen nicht. Alles kann eben doch nicht haben…
Arwid Hotenau, Music Manual Frühjahr 1998