Der Standard
Julian Rachlin und sein langjähriger Kammermusikpartner Itamar Golan sorgen für eine kleine Portion Sommer
Wer im Winter zu einer kleinen Portion Sommer kommen möchte, kann einfach die Augen schließen und sich den Beginn der G-Dur-Violinsonate von Johannes Brahms vorstellen. Diese ruhigen, leisen, tiefen Akkorde des Klaviers, die leichte, wiegende Melodie der Geige: Die Brahms-Geigensonaten, vor allem die erste und die zweite, sind Extrakte des Sommers. Komponiert in Mußezeiten an sonnenbeschienenen Seen in Kärnten und der Schweiz.
Ein Wagnis von Julian Rachlin, den ersten seiner zwei Brahms-Abende im Großen Musikvereinssaal mit der G-Dur Sonate zu beginnen, also eine enorm strapaziöse Unternehmung mit der Kreation eines Momentes größtmöglicher
Gelöstheit zu eröffnen. Diesen vorzutäuschen gelang dem 38-Jährigen ganz gut.
Nach der Sonate für Viola und Klavier in f-Moll op. 12011 und der A-Dur-Violinsonate war klar: Rachlin weiß zu
erzählen. Der ehemalige Schüler von Boris Kuschnir tat es in technisch makelloser Art und Weise und präsentierte den satten Ton der russischen Schule zumeist in einer dezenten, präzisen, man möchte sagen: westeuropäisch kontrollierten Fassung. Schön auch der herb-kraftvolle, mitunter knarzende Ton der Bratsche.
Rachlins langjähriger Kammermusikpartner ltamar Golan dimmte die ihm eigene Quirligkeil meist auf solistendienliche Dezenz herunter, mitunter schlug seine Lebendigkeit unnötige Volten im agogischen Bereich. Toll die Begleitung im Scherzo der F.A.E.-Sonate, als sich der in Paris lebende Litauer endlich bemerkenswert explosive, fast ungebremste Kraftausbrüche erlaubt: wohl auch der Höhepunkt des Abends, was Rachlins Leistung anbelangte. Zwei Zugaben, freundlicher Applaus, dann vom kurzen Sommer ins Schneetreiben hinaus.
end, Der Standard, 13.2.2013